Landwirtschaft und Ernährung

Die Dauerausstellung „Landwirtschaft und Ernährung“ ist eine von 18 Dauerausstellungen, die das Deutsche Museum im Rahmen seiner Generalsanierung neu konzipiert hat. Die Ausstellung wird 2022 eröffnet. Sie vermittelt anschaulich, wie und unter welchen technischen und sozialen Bedingungen landwirtschaftliche Produkte an verschiedenen Orten der Welt hergestellt wurden und werden.

Dabei wird die landwirtschaftliche Produktion in ihren verschiedenen Verfahren und Ansätzen mit allen ihren Vorzügen und Problemen dargestellt, die oft nicht den idealisierten Vorstellungen aus der Welt der Ferien auf dem Bauernhof entsprechen. Die Zielgruppe sind Familien. Das bedeutet nicht etwa, dass alle Ausstellungselemente für alle Familienmitglieder geeignet sind, sondern vielmehr, dass für jede und jeden etwas dabei ist. Der zeitliche Ausstellungshorizont liegt bei ca. 20 Jahren. 

Anders als die Vorgänger-Ausstellung „Agrar- und Lebensmitteltechnik“, bei der der Schwerpunkt auf der Darstellung der technischen Entwicklung der deutschen Landwirtschaft lag, versucht das neue Konzept „Landwirtschaft und Ernährung“ vor allem die gesellschaftlichen Auswirkungen und Konsequenzen der modernen Landwirtschaft mit all ihren Kontroversen darzustellen und zu diskutieren. Besucher*innen sollen also nicht nur Informationen erhalten, sondern auch Denkanstöße vermittelt bekommenDas beinhaltet auch das Aufzeigen (nochnicht gelöster Probleme, oder die Konfrontation mit unangenehmen Fakten wie dem Schlachten von Tieren.  

Blick in den Raum "Überfluss und Mangel", Entwurf neo.studio

AUFBAU

Die Ausstellung ist in fünf Räume aufgeteilt und kann von zwei Seiten besichtigt werden. Prolog und Epilog bilden dabei am Anfang und Ende den etwas abstrakteren Rahmen zu den drei mittleren Räumen, die in Pflanzenbau, Landmaschinen und Nutztiere aufgeteilt sind. Der Prolog mit dem Titel Überfluss und Mangel gibt in einem Lebensmittelregal mit symbolischen Objekten einen Überblick über die Vielfalt der Nahrungsmittel. Als Gegenpol stellt der Themenpunkt Welternährung im selben Raum den globalen Bezug her und thematisiert die oft ungleiche Verteilung von Nahrungsmitteln. Im Epilog Idyll und Wirklichkeit steht dem (vermeintlichen) Idyll der Almhütte die Realität in Form eines Maishäckslers gegenüber. Zahlen und Statistiken zu den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen in der Landwirtschaft beschreiben den Strukturwandel der letzten 50 Jahre.  

Schockierende Elemente in der Ausstellung „Landwirtschaft und Ernährung“

Aufgrund ihres Themas konfrontiert die Ausstellung ihre Besucher*innen an einigen Stellen mit gerne verdrängten, unangenehmen, für manche sicher auch schockierenden Tatsachen: Dazu zählt zum einen die Anzahl der hungernden Menschen, die in einer Großgrafik im Raum Überfluss und Mangel prominent ausgestellt ist. Zum anderen werden manche der Ausstellungselemente bei vielen Besucher*innen wahrscheinlich Unbehagen auslösen, wie die Beschreibung der Rinderenthornung und Ferkelkastration oder der Film einer Rinderschlachtung im Raum Nutztiere. 

Wir Kuratorinnen haben uns bewusst dazu entschieden, eine Schlachtung zu zeigen – gilt sie doch oft als Tabu und wird deshalb nicht ausreichend thematisiert. Gerade aber in Anbetracht des hohen Fleischkonsums in Ländern mit hohem Einkommen erschien es uns wichtig, alle Schritte auf dem Weg vom lebendigen Tier zum Lebensmittel Fleisch, d.h. sowohl die Tierzucht, als auch die Tierhaltung und schließlich die Schlachtung gleichermaßen zu beleuchten. Doch wie geht man ein solch emotional beladenes Thema in einer Ausstellung inhaltlich an?

Unser primäres Ziel beim Thema Schlachten war, interessierten Besucher*innen zu zeigen, wie eine ordnungsgemäße Schlachtung abläuft, d.h. welche Schritte dabei nötig sind und warum. Wir zeigen also eine Schlachtung, die für die Tiere so schonend wie möglich abläuft und verzichten zumindest im Film darauf, Missstände in Schlachthöfen aufzuzeigen (im Ausstellungstext zum Thema wird Kritik an Schlachthöfen kurz thematisiert). Man sieht also einen Prozess, an dessen Ende das vorher quicklebendige und gesunde Tier tot ist. Dieses Faktum alleine erschien uns herausfordernd genug und wir waren sicher, dass es auch ohne weitere Kommentare der Kurator*innen die Besucher*innen zum Nachdenken anregt.  

Wichtig war uns jedoch folgende Rahmenbedingung: Niemand sollte den Film ungewollt sehen müssen und Kinder nicht ohne die Einwilligung der Eltern Zugang zum Film bekommen. Das hieß, dass eine optische Barriere nötig war, die in die Ausstellunggestaltung eingepasst wurde. Die Ausstellungsgestalter*innen entwarfen dementsprechend ein spezielles Ausstellungsmöbel, das Platz für einen 21“ Monitor bietet, der sich aber nicht auf der Wand befindet (wie alle anderen Bildschirme in der Ausstellung), sondern vertieft in einer Wandnische: Nur durch einen schmalen Schlitz ist diese einsehbar, was bedeutet, dass nur Besucher*innen den Film ansehen können, die frontal vor und nah an dem Möbel stehen. Außerdem wurden die Aktivierungsknöpfe so hoch angebracht, dass kein kleines Kind den Film aktivieren kann.

Raumplan der Ausstellung "Landwirtschaft und Ernährung", Aufsicht, Entwurf neo.studio

Problematisch ist diese Form der Präsentation allerdings für Rollstuhlfahrer*innen und sehr kleine Erwachsene, die den Film zwar wahrscheinlich aus der niedrigeren Perspektive sehen könnten, aber eventuell Schwierigkeiten haben, den hoch angebrachten Aktivierungsknopf zu betätigen. Aus Sicht der Barrierefreiheit ist das nicht optimal, aber im Sinne des Kinderschutzes die beste Lösung. Zudem besteht die Möglichkeit, den Film über eine App zusätzlich zugänglich zu machen. Als letzte Vorkehrung wurde noch eine Warnung an das Ausstellungsmöbel angebracht, die den Besucher*innen mitteilt, dass es sich bei diesem Film um die Schlachtung eines Rindes handelt. 

Eine weitere Überlegung im Vorfeld betraf die Beschaffung des Films. Das Team entschied sich letztendlich dafür, einen Film zu drehen, trotz der entstehenden Mehrkosten und dem Aufwand, einen Schlachthof für den Dreh finden zu müssen. Schließlich fand das Team einen Versuchsschlachthof, der sich dazu bereit erklärte, Drehort des Schlachtfilms zu werden. Die Tatsache, dass dieser Schlachthof Teil einer unabhängigen Forschungseinrichtung ist, erfüllte unseren Anspruch der Neutralität. Auch ist es kein kommerzieller Schlachthof und so gab es – anders als üblich – keinen Zeitdruck.

Drehort, Foto: Deutsches Museum/Feliza Ceseña

Eine Schlachtung – auch wenn sie nach allen Regeln des Handwerks ausgeführt wird – ist immer ein emotional anrührender, wenn nicht gar schockierender Vorgang. Deshalb fanden wir es wichtig, schon im Vorfeld auszutesten, wie der Film von Zuschauer*innen aufgenommen wird (wir hatten uns zu dem Zeitpunkt der Fertigstellung ja schon lange mit dem Thema beschäftigt und uns an manches Bild gewöhnt). Deshalb haben wir den fertigen Film Kolleg*innen aus dem Museum vorgeführt. Eine Kollegin überlegte sich, ob sie sich diesen Film überhaupt zumuten wollte und entschied sich am Ende dafür, es zu tun, weil sie Fleisch isst. Die Reaktionen auf den Film waren in allen Fällen ähnlich: Die sachliche Darstellung der verschiedenen Schritte der Schlachtung hat den Zugang des Filminhalts für die Zusehenden einfacher gemacht, auch wenn das Gesehene wie erwartet als unangenehm empfunden wurde.  

Durch eine Mischung aus Hartnäckigkeit, Glück und Pragmatismus ist der Schlachtfilm am Ende ein selbst produzierter Film geworden, der auf sachlicher Ebene eine handwerkliche und ordnungsgemäße Rinderschlachtung zeigt und somit unser Ziel, die Schlachtung als Schritt zum Lebensmittel nicht auszublenden, sondern sachlich zu thematisieren, erfüllt. Bereits die Reaktionen unserer Kollege*innen spiegelten uns, dass der Film „guten“ Anklang fand: Er urteilt nicht, lässt das Dilemma offen, und überlässt die Bewertung den Betrachter*innen. Ob der Film ähnliche Reaktionen im Museumsbetrieb auch bei Besucher*innen auslösen wird, wird sich nach der Eröffnung zeigen. 

Vielen Dank an unsere Projektpartnerinnen Sabine Gerber, Annette Noschka-Roos,Feliza Ceseñaund Helene Hoffmann für die Informationen und Rücksprache zu diesem Praxisbeispiel und an das gesamte Ausstellungsteam für die tolle Ausstellung.