Wie kann man (kontroverse) Ausstellungen beforschen?

Psychologisch-orientierte Besucherforschung

Wie viel Zeit verbringen Museumsbesuchende in der Ausstellung? Welchen Weg wählen sie durch die Ausstellung? Welches Exponat zieht besonders viel Aufmerksamkeit auf sich? Und warum? Werden die Ausstellungstexte gelesen und wenn ja, verstanden? Was nehmen Museumsbesuchende mit vom Ausstellungsbesuch und hat die Ausstellung eine nachhaltige Wirkung auf sie? Diese und mehr Fragen stellen sich Museumsprofessionals bei der Gestaltung von Ausstellungen.

Die Berücksichtigung pädagogischer und psychologischer Theorien ist für die Beforschung von Ausstellungen sehr hilfreich, da sie mitunter auf relevante Merkmale der Ausstellung und Rezeptionsprozesses aufmerksam machen. Eine solche psychologisch-orientierte Besucherforschung kann folglich die Beantwortung der anfangs genannten Fragen unterstützen. Sie bietet Instrumente, um herauszufinden, wer die Museumsbesuchenden sind und wie sie das Museum nutzen, und zum anderen um zu untersuchen, wie die Angebote im Museum auf die Rezipienten wirken und wie sie diese beurteilen und bewerten (Deutscher Museumsbund, 2019).

Timing und Tracking

Eine etablierte Methode, um das Verhalten von Museumsbesuchenden in einer Ausstellung zu untersuchen, ist das „Timing and Tracking“ – die systematische Beobachtung der Rezipienten während des Besuchs und das systematische Erfassen unterschiedlicher Besuchsmerkmale, beispielsweise der Gesamtdauer des Aufenthalts, der Verweildauer an unterschiedlichen Ausstellungsobjekten oder der Weg durch die Ausstellung (Serrell, 1997Yalowitz & Bronnenkant, 2009). Für Museumsprofessionals ist es wichtig zu wissen, wo und wie sich Besuchende in einem Ausstellungsraum bewegen. So können sie feststellen, wie die Besuchenden die verschiedenen Komponenten der Ausstellung nutzen, ob die Ausstellung gut funktioniert und ob sich die Museumsbesuchenden in der beabsichtigten Weise mit den Exponaten beschäftigen. Diese Methode allein gibt jedoch wenig Aufschluss darüber, welche Wirkungen mit der Ausstellung erzielt werden.

Besuchende zu unterschiedlichen Zeitpunkten einbeziehen

Der Leitfaden „Hauptsache Publikum! Besucherforschung für die Museumspraxis“ bietet einen guten Überblick über unterschiedliche Instrumente der Besucherforschung, um eine besucherorientierte Ausstellungsentwicklung zu ermöglichen. Je nachdem, welche Fragestellung man beantworten möchte, ist es sinnvoll, Angehörige der Zielgruppen zu unterschiedlichen Zeitpunkten der Ausstellungskonzeption einzubeziehen: Das kann entweder im Vorfeld sein, um Erwartungen, Interessen, Vorstellungen etc. an das Angebot abzuklären, oder während der Ausstellungskonzeption im Rahmen einer formativen Evaluation, um beispielsweise Fehler im Gestaltungsprozess oder Probleme bei der Orientierung in der Ausstellung, der Bedienung interaktiver Ausstellungselemente oder der Verständlichkeit von Texttafeln zu identifizieren, oder aber nach der Fertigstellung als summative Evaluation, um Wirkungen, Stärken und Schwächen des Angebots zu erkennen. Idealerweise können natürlich auch alle drei Arten der Evaluation bei der Entwicklung neuer Angebote genutzt werden. Evaluationen können in Form von qualitativen und/oder quantitativen Studien durchgeführt werden – das Spektrum reicht von Fragebogenstudien über (teil-) strukturierte Interviews bis hin zum Aufbau von vorläufigen Ausstellungsentwürfen (Mock-up-Ausstellungen) oder prototypischen Exponaten, mit deren Hilfe unterschiedliche Ausstellungsvarianten getestet und verglichen werden können. In jedem Fall bedarf eine solche Studie einer guten Planung und sorgfältigen Umsetzung (für eine Übersicht siehe Deutscher Museumsbund, 2019)

Besonderheiten bei Ausstellungen mit kontroversen Inhalten

Doch was muss man bei der Beforschung von Ausstellungen beachten, die kontroverse wissenschaftliche Themen präsentieren? Hier kann man sich selbstverständlich ähnlicher Instrumente bedienen – allerdings verändern sich mitunter die Fragestellungen bei kontroversen Ausstellungen. Hier stellt sich beispielsweise die Frage, ob die Kontroverse durch die Museumsbesuchenden überhaupt wahrgenommen und verarbeitet wird (Specht, Phelan & Lewalter, 2015) oder inwiefern sich durch die Präsentation eines kontroversen Themas die Einstellung der Besuchenden ändern kann (Phelan, Specht, Schnotz & Lewalter, 2016). Es gilt außerdem zu berücksichtigen, dass Kontroversen Emotionen hervorrufen, Debatten und Dialoge anregen und Reflexion fördern können und dass diese Einladung zum Hinterfragen der eigenen Überzeugungen und zum kritischen Denken neben Erkenntnisgewinn auch eine Überforderung und Frustration der Museumsbesuchenden bewirken kann (Meyer, 2009). Die Wirkung kontroverser Ausstellungen kann folglich komplex und ambig ausfallen und sollte deshalb genau erforscht werden.

Wir haben in dem DFG-Erkenntnistransferprojekt, das AUSSTELLUNGEN KONTROVERS zugrunde liegt, die Ausstellungskonzeption einer zukünftigen Dauerausstellung im Deutschen Museum wissenschaftlich begleitet. Im Praxisbeispiel „Nutztierhaltung“ stellen wir dar, wie wir die Beforschung dieser kontroversen Ausstellung umgesetzt haben.

Literatur zum Thema Wie kann man (kontroverse) Ausstellungen beforschen?

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Deutscher Museumsbund (2019). Hauptsache Publikum! Besucherforschung für die Museumspraxis. Zur Zusammenfassung.
[Ausstellungsbeispiele, Ausstellungsgestaltung, Ausstellungsherausforderungen, Erwartungen an Museen, Museumsbesuchende, Projektbeispiele]

Meyer, M. (2009). From “cold” science to „hot” research. In F. Cameron & L. Kelly (Eds.), Hot topics, public culture, Museums (pp. 129-149). Cambridge Scholars Publishing. Zur Zusammenfassung.
[Ausstellungsgestaltung, Ausstellungsbeispiele, Eigenschaften von  KontroversenPartizipation, socio-scientific issues (SSI), unabgeschlossene Wissenschaft, Wandel des Museums]

Phelan, S., Specht, I., Schnotz, W., & Lewalter, D. (2017). Attitude change when presenting science museum visitors with risk–benefit information. Science Education, 101(6), 873–886. Zur Zusammenfassung.
[Ausstellungsgestaltung, Museumsbesuchende, Verarbeitung von kontroversen Ausstellungsinhalten]

Serrell, B. (1997). Paying attention: the duration and allocation of visitors time in museum Exhibitions. Curator, 40(2), 108–125. Zur Zusammenfassung.
[Ausstellungsbeispiele, Ausstellungsgestaltung, Musemsbesuchende]

Specht, I., Phelan, S., & Lewalter, D. (2015). Conflicting Information in Science Museums: An Exploratory Study. International Journal of the Inclusive Museum, 8(2), 1–14. Zur Zusammenfassung.
[Museumsbesuchende, Verarbeitung von kontroversen Ausstellungsinhalten, Unabgeschlossene Wissenschaft]

Yalowitz, S. S., & Bronnenkant, K. (2009). Timing and tracking: Unlocking visitor behavior. Visitor Studies, 12(1), 47–64.  
[Ausstellungsbeispiel, Museumsbesuchende]